Die Relativitätstheorie
Immer wieder versuchen Leute die Laien zu verwirren, indem sie die Relativitätstheorie ablehnen und als Irrtum bezeichnen. Die Diskussion, ob die Relativitätstheorie überhaupt vernünftige Vorhersagen und Erklärungen bieten könne, ist schon seit Jahrzehnten vorbei. Die Relativitätstheorie hat sich in so vielen Experimenten so glänzend bestätigt, dass kein Raum für eine fundamentale „richtig oder falsch“-Diskussion bleibt.
Diejenigen, die die Relativitätstheorie als Unsinn bezeichnen, verdienen etwa gleichviel Beachtung, wie diejenigen, die immer noch glauben, die Erde ruhe in der Mitte des Kosmos. Zusammen mit der Quantenmechanik ergibt sich ein Modell der Welt, das von enormer Vorhersage- und Erklärungskraft ist. Für seinen Beitrag zur Quantenmechanik (Photoeffekt) erhielt Einstein den Nobelpreis. Die Schulphysik (bis Gymnasium) mit ihren zusammenstossenden Billardkugeln schränkt bewusst den Bereich der Anwendbarkeit ein, um für alltägliche Dinge bequem rechnen zu können.
Im Gegensatz zur Gymnasiumsphysik bietet die Relativitätstheorie noch vernünftige Vorhersagen und Erklärungen, wenn es um Dinge wie Neutronensterne, Teilchen im Beschleuniger des CERN, den Massenverlust bei Kernreaktionen geht. Erst unter extremsten, sehr alltagsfernen Bedingungen, wie das Innerste eines schwarzen Lochs oder bei speziellen Problemen der Elementarteilchenphysik, stösst man an die Grenzen der Relativitätstheorie und Quantenmechanik. Das beweist aber nicht einen Irrtum Einsteins, sondern dokumentiert den Versuch, zu einem noch tieferen Verständnis der Natur zu kommen.
Nur für Genies?
Durch die Person von Einstein, die oftmals als das Symbol der Intelligenz schlechthin verwendet wird, umgibt auch die Relativitätstheorie den Hauch des Mystischen, obwohl es sich „nur“ um die Erweiterung der klassischen Mechanik, d.h. die Bewegungslehre, handelt. Da sich kaum jemand an die Relativitätstheorie wagt, lernt man in der Schule, inkl. Gymnasium, so gut wie nichts über die Einsteinsche Relativität. Diese Lücke öffnet leider auch Freiräume, die selbst ernannte Seher des Höheren oder Propheten der wahren Natur immer wieder zu besetzen versuchen. Ist man als Laie dazu verdammt, hilf- und ahnungslos zwischen den Fronten von Mystikern und theoretischen Physikern zu stehen und je nach Lebenshaltung diesen oder jenen zu glauben?
Die Antwort ist glücklicherweise NEIN. Man kann durchaus ein paar Dinge verstehen, wenn man auch Zwischentöne zwischen alles verstehen oder nichts verstehen zulässt. In diesem Aufsatz haben wir das Ziel, zu verstehen, um was es bei der Relativitätstheorie überhaupt geht. Damit sind wir schon ein gutes Stück weiter.
Die Physikaufgabe für Anfänger
Der Einstieg dreht sich um eine Physikaufgabe mit der wir schon in der zweiten, dritten Lektion in der Schule konfrontiert wurden:
Eine Eisenbahnlinie verlaufe parallel zu einer Autobahn.
Ein Güterzug fahre mit 90 km/h und werde von einem Auto,
das mit 126 km/h fährt, überholt.
Wie lange braucht das Auto, um den 100 m (= 0.1 km) langen
Zug zu überholen?
Die Lösung: Das Auto fährt relativ zum Zug mit 126 km/h – 90 km/h = 36 km/h. Mit einer Geschwindigkeit von 36 km/h braucht man (0.1 km / 36 km/h) Stunden = 10 Sekunden. Ganz einfach. Der Physiker rechnet lieber mit Metern pro Sekunde (m/s) anstelle von km pro Stunde (km/h), so dass eben der Zug mit 25 m/s und das Auto 35 m/s fährt. Die Relativgeschwindigkeit beträgt 10 m/s und für die Zuglänge von 100 m braucht man 100 m /(10 m/s) = 10 Sekunden. In unsere kleine Physikaufgabe setzen wir nun zwei Beobachter, den Lokführer des Zuges und eine Polizistin ein. Die Polizistin führt am Rand der Autobahn eine Geschwindigkeitskontrolle durch. In der Relativitätstheorie sind Beobachter sehr egozentrische Leute, denn sie beziehen alles auf sich und lassen keine andere Meinung oder Sichtweise zu. Sie denken, dass sie sich selber nicht bewegen.
Die Polizistin protokolliert, dass sich der Sportwagen mit 126 km/h und der Zug mit 90 km/h bewegt, logisch. Der Lokführer berichtet, der Wagen bewege sich mit 36 km/h in die eine Richtung und die Polizistin mit 90 km/h in die andere Richtung. Ja, richtig! Wir lösen uns nun von der Gewohnheit, alle Geschwindigkeiten auf den Erdboden zu beziehen. Damit löschen wir in der Aufgabe die Gleise und die Autobahn und lassen nur die Polizistin, das Auto und den Zug mit den bekannten Geschwindigkeiten relativ zueinander in einem sonst leeren Universum schweben. So wird klar, das Polizistin und Lokführer gleich recht haben.
Diese Art von Aufgaben wurden schon lange vor Einstein gelöst und die Transformation von Geschwindigkeiten, d.h. die Art diese Aufgaben zu lösen, geht auf Galilei zurück und wurde von Newton verfeinert. Der Ärger begann Ende des letzten Jahrhunderts, als man das Auto in der Aufgabe durch ein Lichtpuls ersetzte und das, was man ausrechnete, in einem Experiment überprüfte (Michelson).
Wenn die Polizistin die Geschwindigkeit des Lichtpulses mit 299’792’458 m/s angibt, sollte der Lokführer doch nach Schulbuch 299’792’458 m/s – 25 m/s = 299’792’433 m/s messen. Leider hat auch er sich 299’792’458 m/s notiert. Ein Irrtum ist ausgeschlossen! Das (zusammen mit der Abberation) bedeutete in der Zeit nach 1900 das Aus für den Äther. Der Äther war ein nicht näher erklärter Stoff, in dem sich das Licht so ähnlich wie die Wellen im Wasser ausbreiten sollten. In unserer Aufgabe wäre der Äther mit der Autobahn gleich zu setzen, aber die haben wir ja weiter oben aus unserem Bild gelöscht.
Wie Einstein die Aufgabe löst
Einige Jahre früher leitete Maxwell aus den Gesetzen der elektrischen Ströme und elektrischen und magnetischen Felder die elektromagnetischen Wellen (=Licht im weiteren Sinne) und ihre Geschwindigkeit her, d.h. er führte sie auf noch fundamentalere Naturgesetze zurück. Diese fundamentalen Naturgesetze sind die sogenannten Maxwellschen Gleichungen, eine geniale und sehr mathematische Zusammenfassung der Erkenntnisse seiner Zeit über Elektrizität und Magnetismus.
Einsteins Gedanke, der zur besseren Lösung führt, klingt harmlos. Einstein sagt: Jeder beobachtet die gleichen Naturgesetze. Wir wissen, dass die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ein solches Naturgesetz ist (Maxwell). Deshalb müssen beide 299’792’458 m/s messen. Wie müssen wir aber die Aufgabe lösen, wenn wir wieder anstelle des Lichtpulses das Auto verwenden? Dabei muss beachtet werden, dass wir für alltägliche Geschwindigkeiten die Aufgabe sehr gut, d.h. in Übereinstimmung mit der Beobachtung, gelöst haben. Die neue Theorie muss also die Aufgabe so gut wie die herkömmliche lösen und zusätzlich auch die Forderung erfüllen, das alle dieselbe Lichtgeschwindigkeit messen.
Einstein fand, dass Gleichungen, die von Lorentz im Zusammenhang mit Maxwells Theorie aufgestellt wurden, die Lösung des Problems waren. Deshalb heissen die Formeln zur besseren Lösung unserer Physikaufgabe Lorentztransformationen und nicht etwa Einsteintransformationen.
Was ist nun so revolutionär?
Darauf stossen wir, wenn wir nun versuchen, die Physikaufgabe konkret mit den Lorentz-Transformationen, also mit Einsteins spezieller Relativitätstheorie, zu lösen (hier gibt es ein Java Script dazu). Also:
Da gibt es x und x‘. Die beiden Dimensionen y und z spielen keine Rolle, da bei uns alle Bewegungen parallel und nicht kreuz und quer verlaufen. X seien Distanzen, v die Geschwindigkeiten und t die Zeit, die die Polizistin am Autobahnrand misst. Für x kann man sich Markierungen auf der Autobahn oder die Schwellen der Schienen vorstellen. x‘, v‘, t‘ soll dasselbe für den Lokführer bedeuten. Sein Messband ist in den Wagen seines Zuges ausgelegt. Die Einführung von t und t‘ lässt es schon ahnen: Einstein möchte, dass wir auch die Zeit transformieren. Was soll das heissen? Wir haben oben offenbar nicht nur die Aufgabe nicht richtig gelöst, sondern der Lehrer hat zudem die Aufgabe zu ungenau gestellt. Die Frage muss lauten: Wie lange braucht das Auto um den Zug zu überholen a) für die Polizistin b) für den Lokführer?
Lorentztransformationen
Bild 1: Ein paar Koordinatentransformationen der speziellen Relativitätstheorie. Lichtgeschwindigkeit c = 1079252848.80 km/h (=299’792’458 m/s). Hier gibt es mehr.
Lösung: Zu Beginn seien die Polizistin, das Auto und das Ende des Zugs bei x = x‘ =0 m zur Zeit t = t‘ = 0 Sekunden. Der Lokführer befindet sich im Koordinatensystem der Polizistin bei x = 100 m zum Zeitpunkt t=0 Sekunden. Die Polizistin schreibt in ihrem Protokoll:
Ende des Überholens bei: x= 350.000000000000000000 m und t= 10.000000000000000000 Sekunden.
Was der Lokführer beobachtet, berechnen wir mit den Lorentz-Transformationen (siehe Bild 1) und erhalten:
x‘ = 100.000000000000348000 m, t’= 9.999999999999937410 s, v‘ = 36.000000000000350500 km/h
Wir stellen fest, dass für den Lokführer das Überholen weniger lang dauert als für die Polizistin. Auch ist der Zug etwas länger als es die Polizistin beobachtet. Man spricht in der Relativitätstheorie von Längenkontraktion (Verkürzung). Da L/v‘ = 9.999999999999902640 nicht = t‘ ist, führen wir deshalb eine Zuglänge L‘ ein, die L’/v‘ = t‘ = 9.999999999999937410 s erfüllt.
=> Längenkontraktion: L‘ = 100.000000000000348000 m = x‘, wie zu erwarten war.
Die Forderung, dass die erste Lösung der Aufgabe im Alltag mit guter Genauigkeit stimmen soll, ist auch erfüllt. Erst viele Stellen nach dem Komma tritt eine Abweichung auf. Die von Einstein geforderte Gleichheit der Lichtgeschwindigkeit für alle können wir ebenfalls überprüfen: Wenn wir v = c setzen, so erhalten wir für den Lokführer
x‘ = 100.000000000000348000 t’= 0.000000333564095198 v‘ = 1079252848.8 km/h = 299792458 m/s.
Damit ist auch die Forderung erfüllt, dass beide dieselbe Lichtgeschwindigkeit beobachten.
Bei Geschwindigkeiten des Strassenverkehrs stellt die spezielle Relativitätstheorie nur eine kleine, pedantische Korrektur dar. Doch wenn wir grössere Geschwindigkeiten nehmen, werden die Unterschiede zur Schullösung der Aufgabe extrem.
Wenn die Polizistin eine Zuggeschwindigkeit von u = 290’000 km/s und eine Autogschwindigkeit von v = 299’000 km/s feststellt, dauert das Überholen dann für sie 0.000’011 s. Das Ergebnis der Lorentztransformation ist das, was der Lokführer sieht:
x‘ = 394.48 m, t’= 0.000’0015 s, v‘ = 255’528 km/s (man beachte: klassische Rechnung v‘ = 299’000 km/s – 290’000 km/s = 9’000 km/s).
Wiederum dauert das Überholen für den Lokführer weniger lang, nur dass der Unterschied nun sehr drastisch ausfällt. In diesem Fall führt die Lösung, wie wir sie in der Schule lernten (v’=9’000 km/s t‘ = 0.000’011 s), für den Lokführer zu einem völlig unbrauchbaren Ergebnis. Solch hohe Geschwindigkeiten gibt es in der Natur: z.B. die Atomkerne der kosmischen Strahlung oder die Plasmajets aktiver Galaxiekerne können so schnell sein.
Weitere Ergebnisse der Relativitätstheorie:
Am Berühmtesten ist wohl die „Einstein-Formel“ der Masse – Energie – Umwandlung: Energie = Masse mal Lichtgeschwindigkeit mal Lichtgeschwindigkeit. Der mit 90 km/h fahrende Zug (Masse z.B. = 2’000’000 kg) erscheint der Polizistin um 0.007 Mikrogramm schwerer als dem Lokführer. Bei der Kernfusion in der Sonne wird ein Teil der beteiligten Masse in Energie verwandelt. Die Sonne wandelt bei einer Leistung von 4E26 Watt mehr als 4 Millionen Tonnen Masse pro Sekunde in Strahlungsenergie um.
Genaue Erklärungen der Spektrallinien eines Atoms: Die um den Atomkern sausenden Elektronen haben so hohe Geschwindigkeiten, dass wir gewisse Eigenschaften der Spektrallinien nur verstehen, wenn wir die Relativitätstheorie in die quantenmechanischen Berechnungen einbeziehen.
Transformation elektrischer und magnetischer Felder: Ein sich in einem für uns rein magnetischen Feld bewegendes Teilchen sieht eine Kombination zwischen elektrischen und magnetischem Feld.
Die Anwendung auf das Gravitationsfeld (Schwerkraft), die Einstein 1915 publizierte, basiert auf der Ununterscheidbarkeit von Trägheitskräften und Schwerkraft. Das bedeutet, dass jemand in einem Raumschiff durch kein Experiment unterscheiden kann, ob das Raumschiff beschleunigt, oder auf der Oberfläche eines Planeten steht, solange er nicht zum Fenster hinaus sieht. Die Schwerkraft wird als Krümmung des aus den drei Raumrichtungen (links – rechts, vorne – hinten, oben – unten) und der Zeit aufgebauten vier dimensionalen, geometrischen Gebildes interpretiert und nicht mehr als sofort über grosse Entfernungen wirkende Kraft wie bei Newton.
Damit wird mit viel höherer Mathematik unter anderem erklärt, warum eine Atomuhr auf dem Jungfraujoch (in den Hochalpen) schneller geht, als eine in Bern. In der Astronomie wird so erklärt, warum sich die Bahnellipse des Merkurs anders um die Sonne dreht, als es mit Newtons Theorie vorhergesagt wird. Die Erklärung, warum die dicht neben der Sonne stehenden Sterne leicht anders stehen, als wenn die Sonne nicht mehr in der Sichtlinie stünde, war einer der ersten Beweise. Die Beobachtung, wie sich zwei Neutronensterne auf einer Spiralbahn langsam näher kommen, ist ein modernes Gebiet der Forschung im Bereich der allgemeinen Relativitätstheorie. Ihre spektakulärste Voraussage ist wohl das schwarze Loch. Wenn in Bern die Uhren etwas langsamer gehen als auf der Jungfrau, so vergeht am Rande eines schwarzen Lochs die Zeit überhaupt nicht mehr. Gibt es die schwarzen Löcher? Ja! Denn die in den letzten Jahren gemachten Beobachtungen an Doppelsternsystemen und Kernen der Galaxien lassen kaum eine andere Interpretation zu.
Generell ist zu sagen, dass die allgemeine Relativitätstheorie nach wie vor das beste Modell von Raum, Zeit und Schwerkraft im makroskopischen Bereich ist, das wir haben. Ihre Grenzen waren aber auch schon immer bekannt. Das Verhalten der Atome, allgemeiner die Quantenmechanik, ist nicht Teil der Relativitätstheorie. Die spezielle Relativität und die Quantenmechanik müssen beide bei einer genauen Erklärung der Vorgänge im Atom, speziell im Atomkern, berücksichtigt werden. Eine Quantenmechanik der Gravitation, zumindest eine, die mehr als nur zwei, drei Leute auf der Welt verstehen können, steht noch aus.
Wenden wir uns nun einem besonders spektakulären Bereich der allgemeinen Relativitätstheorie zu:
Sturz in das schwarze Loch
Zum Schluss wollen wir noch eine Raumsonde in ein schwarzes Loch stürzen lassen. Könnten wir einen Stein mit 11.2 km/s oder schneller hochwerfen, käme er nie mehr zum Erdboden zurück (die nicht unwesentliche Luftreibung sei hier ignoriert). Diese Geschwindigkeit von 11.2 km/s nennt man Fluchtgeschwindigkeit der Erdoberfläche. Wird ein Körper (im Beispiel die Erde) schwerer oder dichter, so steigt seine Fluchtgeschwindigkeit. Von den Wolken des Jupiters hochgeworfen, muss der Stein mindestens 60 km/s, von der Sonne gar mehr als 600 km/s schnell sein, um für immer zu entkommen. Erreicht diese Fluchtgeschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit von 299’792’458 m/s, so kann nicht einmal mehr das Licht entkommen. Der Körper erscheint deshalb als schwarzes Loch.
Bis jetzt haben wir nur Newtons Vorstellung von Gravitation verwendet. Wenn wir nun die Relativitätstheorie anwenden, sehen wir, dass das schwarze Loch eigentlich viel mehr ist als bloss ein besonders dichter und schwerer Körper.
Nehmen wir an, eine Raumsonde falle in ein schwarzes Loch, das 1 Million mal so schwer ist, wie unsere Sonne. Im Zentrum unser Milchstrasse befindet sich sehr wahrscheinlich eines, das mindestens 1 Millon Sonnenmassen schwer ist. In einer Umlaufbahn mit 1 Milliarde Kilometer Radius um dieses schwarze Loch befinde sich eine Raumstation. Die Raumsonde und die Station führen ein Logbuch, indem Sie die zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichte Entfernung (in zum schwarzen Loch ruhenden Koordinaten) eintragen. Die Zeit wird mit einer an Bord befindlichen Uhr gemessen. Wenn die Raumsonde an der Raumstation vorbei fliegt, bzw. die Raumstation die Sonde vorbeifliegen sieht, stellen beide ihre Uhren auf Null. Das folgende Bild 2 zeigt graphisch, was beide in ihr Logbuch eintragen.
Als erstes sehen wir, dass die beiden Kurven verschieden sind. Schon das wäre nach Newton nicht möglich, aber das kennen wir ja bereits vom Beispiel mit dem vom Auto überholten Zug. Das Überraschende geschieht aber in der Nähe der Grenze, wo die Fluchtgeschwindigkeit gleich der Lichtgeschwindigkeit wird (sogenannter Ereignishorizont). Dort wird der Unterschied zwischen Raumsonde und Raumstation extrem. Die Raumsonde notiert das Erreichen des Ereignishorizonts 680 Minuten und 8 Sekunden nach Passieren der Raumstation, die auf das ruhende schwarze Loch bezogene Distanz nimmt mit Lichtgeschwindigkeit ab.
Die restlichen 3 Millionen Kilometer bis zum Zentrum des schwarzen Lochs werden in 7 Sekunden zurückgelegt, was eigentlich Überlichtgeschwindigkeit wäre! Doch für die Raumstation tritt dieses Phänomen nie ein. Nach anfänglicher Beschleunigung, wie es beim freien Fall auf ein Massenzentrum hin zu erwarten ist, kehrt sich die Bewegung in eine Verzögerung um. Die Raumsonde scheint vor dem Ereignishorizont zu bremsen, so dass sie diesem zwar immer näher kommt, ihn jedoch nie erreichen wird. Die Raumstation beobachtet also nie so etwas wie eine überlichtschnelle Raumsonde. Extremer könnte der Unterschied in der Beobachtung nicht ausfallen, die Raumsonde beobachtet schon nach wenigen Stunden ein Ereignis, nämlich das Überqueren des Ereignishorizonts, das für die Raumstation gar nie eintritt.
Bei der Schulaufgabe mussten wir die Gleichzeitigkeit aufgeben. Nun haben wir ein Beispiel kennengelernt, bei dem das prinzipielle Eintreten eines Ereignisses vom Beobachter abhängt. Vom Standpunkt der in das schwarze Loch fallenden Raumsonde kann man sagen, dass sie in endlicher Zeit an das Ende aller Zeit reist. Der Ereignishorizont stellt somit auch das Ende des prinzipiell beobachtbaren Weltalls, also unserer Welt schlechthin dar. Das Phänomen wird noch komplizierter, wenn man die Quantenmechanik mit einbezieht oder ein wachsendes und rotierendes schwarzes Loch betrachtet. Doch wollen wir unsern kleinen Exkurs an die Grenzen des Vorstellbaren hier abschliessen.
Bisher haben die spezielle und auch die allgemeine Relativitätstheorie alle experimentellen Überprüfungen bestanden. Zu den bedeutendsten gehört bislang sicher die Beobachtung zweier sich auf Spiralbahnen nähernden Neutronensterne. Die Relativitätstheorie hat uns gezeigt, dass es Orte im Weltall gibt, deren Physik völlig anders ist als unsere Alltagserfahrung. Welche erstaunlichen Dinge mag die Physik des 21. Jahrhunderts für uns bereit halten?